Landpartie VIII: „Ich kann es mir leisten, nicht die Bestseller-Autor*innen einladen zu müssen“

Das nördliche Burgenland ist in kultureller Hinsicht für seine breitenwirksamen Spektakel wie die Oper im Steinbruch in St. Margarethen oder die Seefestspiele in Mörbisch bekannt. Und auch die kürzlich neuübernommene Cselley Mühle in Oslip ist Kulturinteressierten natürlich ein Begriff. Dass es in dieser Region aber auch ein großes Interesse an Literatur gibt, das stellt Karin Ivancsics seit 2018 eindrucksvoll mit den Literaturtagen im Weinwerk in Neusiedl am See unter Beweis. Die nächste Ausgabe steht an diesem Wochenende, zwischen 16. und 18. September 2022 bevor.

Mit ihrer Veranstaltungsreihe nimmt Ivancsics Bezug auf eine bereits in den 1990er-Jahren im Weinwerk angesiedelte Lesereihe mit literarischen Größen wie H. C. Artmann oder Andreas Okopenko. Mit Nick Titz gab es in Neusiedl zudem auch einen großen Förderer der Literatur, der bis zu seinem Tod vor acht Jahren die Lesereihe In den Gerbgruben veranstaltet hat. „Er hat das als One-Man-Show betrieben und sein Tod hinterließ ein riesiges Loch. Es würde mich sehr freuen, wenn die Literaturtage im Weinwerk dazu beitragen würden, dieses Loch neu zu beleben.“

Die Literaturtage stehen dabei jedes Jahr unter einem anderen Motto. Im Vorjahr drehte sich alles rund ums hundertjährige Bestehen des Burgenlands, heuer steht die Natur im Mittelpunkt. „Die Pandemie hat uns bewiesen, dass Natur und Kultur miteinander verschränkt sind“, begründet Karin Ivancsics die Themenwahl. Barbara Frischmuth wird im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung am Freitagabend aus ihrem im Residenzverlag erschienen Buch Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen lesen, in dem sie zeigt, wie Natur in Alltag, Literatur, Kultur und Wissenschaft zur Sprache kommt. „Naturschutz und Klimawandel sind brisante Themen, das sieht man ja auch anhand der Diskussion rund um die historisch niedrigen Wasserstände des Neusiedler Sees“, erklärt Karin Ivancsics. Auch die Literatur setzt sich mit diesen hochaktuellen Themen auseinander, für Karin Ivancsics lag es daher auf der Hand, Autor*innen und Künstler*innen aus unterschiedlichen Gattungen zu diesem Thema nach Neusiedl einzuladen. „Jeder Autor und jede Autorin, egal ob in Lyrik oder in einer Erzählung, bringt seinen ganz persönlichen Aspekt zum Thema Natur mit ein. Daraus ergibt sich dann für die Besucher im Rahmen der gesamten Veranstaltung ein spannendes großes Ganzes“, erzählt Karin Ivancsics im Gespräch mit Books in Vienna.

Unterschiedliche Sinne ansprechen

Eine der Teilnehmer*innen ist heuer die gebürtige Golserin Clara Heinrich. Sie beschäftigt sich in ihren Texten unter anderem mit Gemüsesorten und Saatgut und wurde dafür 2021 mit dem Burgenländischen Literaturpreis ausgezeichnet. Auch Siljarosa Schletterer, die sich in ihrem Debüt azur ton nähe (erschienen 2022 bei Limbus) der Vielsprachigkeit von Wasser widmet, wird an diesem Wochenende in Neusiedl dabei sein. Und da das Thema Natur viele unterschiedliche Standpunkte verträgt, hat Ivancsics nicht nur Autorinnen und Autoren, sondern mit Willy Puchner zum Beispiel auch einen Zeichner und Künstler nach Neusiedl eingeladen. Wie überhaupt die Verschmelzung unterschiedlicher Kunstgattungen ein besonderes Anliegen von Karin Ivancsics ist. „Verbindet man Lesungen zum Beispiel mit Projektionen oder Musik, werden unterschiedliche Sinne angesprochen, wodurch sich für die Zuhörerinnen und Zuhörer ein ganz besonderes Erlebnis einstellt. Außerdem lockern Bilder, Gespräche und Musik das Programm auf, die Zeit der reinen Wasserglas-Lesungen ist ja eher vorbei.“ Dabei gönnt sich Ivancsics den Luxus, die Veranstaltung in einem kleinen und „sympathischen“ Rahmen zu belassen. „Ich kann es mir leisten, nicht jene Bestseller-Autorinnen und -Autoren einladen zu müssen, die ohnehin die ganze Zeit durch die Bundesländer touren. Das sind ja immer dieselben Leute und das finde ich langweilig“, sagt Ivancsics, die sich im Gespräch zudem als Fan von Klein- und mittelgroßen Verlagen outet. „Bei Limbus oder Klever findet man viele Perlen, die halt nicht so für den großen Markt geeignet sind.“

Neben der genreübergreifenden Bespielung der Literaturtage sind auch das gesellschaftliche Miteinander und die Vernetzung der Künstler*innen – auch mit jenen der angrenzenden Nachbarländer – ein großes Anliegen von Karin Ivancsics. Das Weinwerk bietet dafür mit seiner optimalen Größe und der Atmosphäre den perfekten Rahmen. „Es ist sehr gemütlich, Besucher und Autoren können jederzeit eine Pause im Gastgarten oder im Kaffeehaus machen, miteinander ins Gespräch kommen und sich austauschen. Als Schriftstellerin sitze ich ja oft genug in einem stillen Kämmerlein, deshalb ist mir der Austausch mit anderen, vor allem mit jungen Autorinnen und Autoren, so wichtig“, erzählt Karin Ivancsics, deren neues Werk Zugvögel sind wir soeben in der Edition lex liszt 12 erschienen ist.

„Alles gelesen, was mir untergekommen ist“

Mit der Organisation der Literaturtage im Weinwerk stillt Ivancsics obendrein auch ihr ureigenes Interesse, beim Lesen und in der Auseinandersetzung mit Texten in neue Welten einzutauchen. „Ich liebe das Reisen. Bücher geben mir die Möglichkeit, jederzeit irgendwohin reisen zu können und mich voll und ganz auf eine neue Welt einzulassen.“ Schon als Kind, aufgewachsen im Drei-Länder-Eck zwischen Österreich, Ungarn und (dem damals noch bestehenden) Tschechoslowakei, hatte ihr der Bestand der Bücherei, die ihr Vater in der Heimatgemeinde eingerichtet hatte, die Möglichkeit gegeben, an für sie fremde Orte zu reisen. „Ich habe damals alles gelesen, was mit untergekommen ist, denn ich bin ja festgesessen“, erzählt Ivancsics. Autor*innen wie Marlen Haushofer und Hertha Kräftner oder auch Andreas Okopenko (mit dem sie später im Wiener Literaturhaus die Reihe In Memoriam organisierte) boten ihr damals ebenjene Möglichkeit, sich in andere Welten zu flüchten.

In andere Welten abzutauchen und sich inspirieren zu lassen, genau das wird auch Besucher*innen der Literaturtage an diesem Wochenende in Neusiedl geboten. „Es ist mir ein Herzensanliegen, eine solche Veranstaltung in meiner Region und für die Region umzusetzen“, sagt Ivancsics. Mit Region ist dabei übrigens auch ganz bewusst der Wiener Raum mitgemeint. „Die Wienerinnen und Wiener sollen nicht so eine Scheu haben, es sind ja nur fünfunddreißig Minuten mit dem Zug oder mit dem Auto zu uns.“ Eine Anfahrt, die sich auf jeden Fall lohnen würde, soviel ist nach einem Blick auf das Programm der Literaturtage 2022 gewiss.

get in contact: Literaturtage im Weinwerk, 16.-18. September 2022 – Obere Hauptstraße 31, 7100 Neusiedl/See – www.literaturtage-weinwerk.at – Die Literaturtage im Weinwerk auf Facebook

Anreise: Von Wien-Hauptbahnhof im Stundentakt mit dem Regionalexpress bis Neusiedl am See

Fotos: Literaturtage im Weinwerk / Berger / Ivancsics