„Buchhändler*innen sind Seismographen für gesellschaftliche Stimmungen“

Schon als 8-Jährige hat Sonja Franzke in der Buchhandlung ihrer Familie, der Wartburg-Buchhandlung am Neubaugürtel, mitgeholfen. Später hat sie die Filiale am Laurenzerberg geleitet, in weiterer Folge das Sachbuchprogramm bei Deuticke verantwortet und schließlich – nach kurzem Zwischenstopp im Volkstheater – das Schulbuchgeschäft in der WKO organisiert, bevor sie zum Residenz Verlag wechselte. Vor sechzehn Jahren hat sie sich dann gemeinsam mit zwei Freundinnen aus der Buchbranche selbstständig gemacht und die Agentur vielseitig gegründet, die seither Dienstleistungen rund um die Buchproduktion anbietet. Darüber hinaus ist sie Autorin und Mitglied der Fachgruppe Buch- und Medienwirtschaft der Wirtschaftskammer Wien sowie im Fachverband Österreich. Wenn man sich mit jemandem über die aktuelle Situation des heimischen Buchhandels unterhalten will, ist Sonja Franzke dank ihrer Erfahrung in unterschiedlichsten Bereichen der Branche also eine ziemlich optimale Besetzung.

Was ist da los?

Und unterhalten sollte man sich über den Buchhandel in Zeiten wie diesen auf jeden Fall. Nach durchaus erfreulichen Umsatzzahlen während der Corona-Pandemie tun sich die heimischen Buchhandlungen in den letzten Monaten schwer. Insbesondere das vergangene Weihnachtsgeschäft – sonst traditionell der Umsatzbringer schlechthin – hat ausgelassen. Nachrichten über das Zusperren von Buchhandlungen schaffen es immer wieder in die Regionalmedien, zuletzt sorgte die Insolvenz der Veritas-Buchhandlungsgruppe in Oberösterreich für Schlagzeilen. Gleichzeitig expandieren regionale Buchhändler wie die Frau-Hofer-Gruppe oder Kral und spannende neue Buchhandlungen werden gegründet oder neu übernommen. Wien ist zudem immer noch jene Stadt mit der höchsten Buchhandlungsdichte in ganz Europa. Was ist da also los am heimischen Buchmarkt?

Gute buchgeografische Lage

„Buchhändler*innen sind nicht nur Händler*innen, sie waren und sind vor allem auch immer Seismographen für sämtliche gesellschaftliche Stimmungen“, sagt Sonja im Gespräch mit Books in Vienna im Besprechungsraum der Agentur vielseitig in Wien-Neubau. Der Standort der Agentur ist buchgeografisch optimal gelegen: In 150 Meter Luftlinie befindet sich das Literaturhaus, wenige Meter entfernt in der Neubaugasse eröffnet Kral demnächst seine neueste Wiener Dependance (im früheren Hintermayer) und mit dem Musette-Shop in der Westbahnstraße gibt’s auch eine spannende Buchhandlung mit ganz neuem Konzept in unmittelbarer Nähe.

Psychologischer Effekt

„Fakt ist, dass die Menschen zur Zeit nicht so freigiebig mit dem Geldbörsel sind“, erzählt Sonja und das habe vor allem mit der Ukraine und dem Gaza-Krieg sowie den sich daraus entwickelnden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen zu tun. Buchhändler*innen würden das – so wie gerade alle anderen Branchen auch – stark spüren. Es komme in dieser Branche aber noch ein zusätzlicher Effekt hinzu, quasi ein psychologischer: „Du hörst als Buchhändlerin im Gespräch mit deinen Kundinnen und Kunden so viel zu und kennst diese Leute vielleicht sogar besser als deren Freund oder Freundin. Wenn du aber tagtäglich diese verunsicherten Stimmungen aufsaugst, macht das etwas mit dir.“

Schwer zu stemmendes Paket

Hinzu komme eine Melange an schwierigen ökonomischen Hardfacts: Sinkende oder stagnierende Umsätze bei gleichzeitig steigenden Lohnkosten für Mitarbeiter*innen sowie höheren Kosten für Energie, Miete und Porto. „Es wird wirtschaftlich einfach sehr viel enger, das ist ein Paket, das nur sehr schwer zu stemmen ist. Und dann eben auch noch die schlechte Stimmung on top.“ Ankündigungen wie jene des internationalen Logistikunternehmens Zeitfracht, kleinere Buchhandlungen nicht mehr über Nacht zu beliefern oder die Insolvenz des heimischen Buchgroßhändlers MELO im vergangenen Jahr, tragen auch nicht gerade zu einer Verbesserung der Stimmung bei. „Momentan ist schon ein großer Kraftaufwand nötig, um eine fröhliche Buchhändlerin zu sein“, stellt Sonja fest.

Mehrwertsteuersenkung

Abhilfe schaffen könnte da zum Beispiel die Wiedereinführung der Ende 2021 ausgelaufenen Reduktion des Mehrwertsteuersatzes auf Bücher von 10 auf 5 Prozent. Das Instrument, das im Sommer 2020 als explizite Corona-Hilfe eingeführt und aus dem Corona-Hilfstopf finanziert wurde, würde auch aktuell den Buchhandlungen ein bisschen Linderung verschaffen. „Die tatsächlichen Kosten dieser Aktion wären nicht so hoch. Aber das darf kein Almosen für die Branche sein und es kommt auf die richtige Argumentation an“, betont Sonja. „Ein verminderter Mehrwertsteuersatz für die Buchhandlungen würde ja am Ende auch den Autor*innen und Verlagen helfen, es handelt sich also eigentlich um eine gezielte Kulturförderung.“ Aufgrund der nahenden Wahlen macht sich Sonja jedoch keine Illusionen darüber, dass ein reduzierter Mehrwertsteuersatz in baldiger Reichweite sei, „zumal das einfach kein Wahlkampfthema ist. Diesbezüglich sind wir in Österreich leider zu wenig Kulturnation.“

In der Branche stecken Kreativität und Power

Den Kopf also in den Sand stecken und auf bessere Zeiten hoffen? Mitnichten, meint Sonja. Denn die Buchbranche zeichne sich hierzulande durch viele kreative Köpfe, durch viel Leidenschaft und einen starken Zusammenhalt aus, wie zuletzt die von Petra Hartlieb initiierte Aktion Weil wo wichtig ist gezeigt habe. „Da hat man gemerkt, welche Power in der Branche steckt“, sagt Sonja. Kreativität, Leidenschaft und Zusammenhalt – das seien die Zutaten, um etwas bewegen zu können und auch mal schwierige Phasen durchzutauchen. Darüber hinaus sei auch die heimische Regionalität eine Stärke, „wenn sich eine Buchhandlung regional gut positioniert, dann pfeift das“, sagt Sonja und nennt die Grätzlbuchhandlung von Helena Prinz als Beispiel. Darüber hinaus müssten endlich mehr Frauen in verantwortliche Führungspositionen kommen, zum Beispiel auch beim HVB. „Wir sind eine sehr weibliche Branche, aber das spiegelt sich in den Vertretungen noch nicht wieder. Dabei zeigt sich, dass es kreativer und kooperativer wird, wenn Frauen in Führung kommen.“

Spürbare Leidenschaft

Und schließlich werde sich die Konjunktur auch wieder erholen. „Es wird sich alles wieder etwas beruhigen und die verkauften Stapel im Weihnachtsgeschäft der Buchhandlungen werden auch wieder gestapelt werden. Da bin ich eine hoffnungslose Optimistin“, gibt sich Sonja zuversichtlich. Und ganz generell gehe es bei allen wirtschaftlichen Zwängen auch ein bisserl um die Einstellung. „Ich treffe regelmäßig Buchhändlerinnen und Buchhändler und es ist ja tatsächlich schwer zur Zeit. Aber es ist immer auch die Frage, worüber man sich unterhält und auf was man seinen Fokus richtet. Ich will nicht übers Jammern reden, ich frage also lieber zum Beispiel nach dem Lieblingsbuch der Saison. Wenn die Buchhändler*innen dann antworten, geht es nicht um den zu hohen Preis des Buches oder wie viele Kunden an diesem Tag schon da waren. Sondern dann fangen die Augen an zu leuchten und die Leidenschaft ist sofort spürbar.“

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