Schulschiff-Bibliothek: „Wir müssen raus zu den Schüler*innen!“

Ein bisschen spürt man den Wellengang durchaus, wenn man in der Schulbibliothek des Schulschiffs Platz nimmt. Draußen fegt der Wind über die Donau hinweg, das Wasser kräuselt sich, Regentropfen tanzen auf den Fenstern. „Wenn es richtig stürmt und sich das Schiff immer wieder ein bisschen hebt und senkt, kann es auch schon mal vorkommen, dass einem ein bisschen schummrig wird“, erzählt Natascha Kutusow. „Aber man gewöhnt sich mit der Zeit dran“, fährt die Leiterin der Schulbibliothek des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums fort. Seit 1994 läuft der Betrieb des in der Schiffswerft Korneuburg gebauten Schulschiffs und wie es sich für ein Gymnasium und Realgymnasium gehört, gibt es hier am Standort am Ufer der Donauinsel, zwischen Floridsdorfer- und Schnellbahnbrücke, auch eine Schulbibliothek.

Finden lässt sich hier alles, was das Lehrer*innen- und Schüler*innenherz begehrt, Klassiker der Weltliteratur genauso wie Schulbücher, Graphic Novels oder Mangas. Genutzt wird die Schulbibliothek dabei nicht nur zum Stöbern und Lesen, sondern auch als stiller Rückzugsort für Teamteaching-Stunden oder Gespräche mit Oberstufenschüler*innen, die gerade an ihrer Vorwissenschaftlichen Arbeit schreiben.

Katalogisieren, Ausmisten und Schüler*innenkontakt

Der Alltag von Natascha Kutusow und ihren beiden Bibliothekskolleginnen besteht hauptsächlich aus Katalogisieren, Ausmisten und natürlich dem Kontakt mit den Schüler*innen. Alle drei sind von Hauptberuf Lehrerin, die Betreuung der Schulbibliothek erfolgt quasi nebenbei. „Pro Woche bin ich derzeit rund zehn Stunden in der Bibliothek“, sagt Kutusow im Gespräch mit Books in Vienna. Geöffnet hat die Bibliothek insgesamt fünfzehn Stunden pro Woche, unter anderem jeweils in der zweiten großen Pause sowie in der 6. und 7. Schulstunde, „weil viele Schüler*innen nach der 5. oder 6. Stunde Schulschluss haben und danach zu uns kommen.“

Auch wenn man in der am Bug des Schiffes, mit Blick auf die Floridsdorfer Brücke, gelegenen Bibliothek ein breites Angebot an Büchern und anderen Medien vorfindet, erfreuen sich natürlich nicht alle Werke gleichermaßen der Beliebtheit der Schüler*innen. „Gut nachgefragt sind bei uns Abenteuer- und Fantasygeschichten für 10-13 Jährige, zum Beispiel die Woodwalkers-Reihe, Bücher á la Wie man 13 wird und überlebt oder auch Gregs Tagebuch“, gibt Kutusow einen Einblick in die Favourites. „Was überraschenderweise gar nicht funktioniert, sind Krimis für Kinder und Jugendliche. Sowas wie die Knickerbocker-Bande von Thomas Brezina wird gar nicht gelesen. Dasselbe gilt für die Bücher von Christine Nöstlinger. Vielleicht liegt es an der in die Jahre gekommenen Sprache dieser Bücher“, versucht sich Kutusow an einer nachvollziehbaren Diagnose.

Beliebte Mangas, Graphic Novels mit schwerem Stand

„Weg wie die warmen Semmeln“ gingen dafür vor zwei Jahren Mangas, nachdem Kutusow und ihre Kolleginnen ein eigenes Regal für dieses Genre eingerichtet hatten. „In Mangas stehen die Figuren und ihre Persönlichkeit im Mittelpunkt, da geht es für die Schüler*innen also um die Identifikation mit den Charakteren und ihren Problemen und Sorgen im Alltag. Freundschaft, Liebe, Mobbing, das alles holt die Schüler*innen in ihrer eigenen Lebensrealität ab.“ Schwieriger verhält es sich da schon mit anspruchsvolleren Graphic Novels. Und generell tut sich natürlich auch eine Schulbibliothek schwer damit, Schüler*innen im Teenageralter zu erreichen, für die zunehmend andere Dinge im Leben interessanter werden. „Vor allem die Oberstufenschüler*innen reinzuholen, ist eine Herausforderung, ab der 3. Klasse wird das Interesse am Lesen spürbar geringer“, erzählt Kutusow. Dem entgegenwirken sollen zum Beispiel eine jährliche Vorlesewoche im Februar, bei der jede*r Lehrer*in zu Beginn seiner Unterrichtseinheit zehn Minuten aus einem Buch vorliest, sowie Lesungen mit Autor*innen, die über den Südwindverlag organisiert werden.

Mit aktuellen Themen und Büchertischen, zum Beispiel zum Weltfrauentag oder zur jährlichen Banned-Books-Liste, gelingt es der Schulbibliothek zwar immer wieder, auch die älteren Schüler*innen anzusprechen, „aber man erreicht doch meist nur einen kleinen Teil der Schüler*innen damit. Das ist einfach schwer.“

Beliebter Bücherweihnachtsbaum

Als eine Möglichkeit, diese Zielgruppe trotzdem für das Thema Buch zu erreichen, hat Kutusow Instagram identifiziert, weswegen die Schulbibliothek seit fast zwei Jahren über einen eigenen Account auf der Social-Media-Plattform verfügt. „Ich glaube, wir dürfen nicht warten, bis die Schüler*innen zu uns kommen, sondern wir müssen raus zu ihnen und hinein in ihre Lebensrealität. Dafür ist Instagram eine gute Plattform. Im Vorjahr haben wir zum zweiten Mal einen Bücherweihnachtsbaum zusammengestellt und auf Instagram gepostet, das hat bei den Schüler*innen richtig gut angeschlagen“, erzählt Kutusow. Darüber hinaus ermögliche die Plattform einen spannenden inhaltlichen Austausch mit anderen öffentlichen Bibliotheken.

Für die Wünsche der Schüler*innen und des Lehrkörpers zeigen sich Natascha Kutusow und ihr Team stets offen. So können Buchwünsche zum Beispiel über eine eigene Box in der Bibliothek deponiert werden (besagte Box hat Kutusow via Instagram bei einer anderen Bibliothek entdeckt). Neben den geplanten Ankäufen komme es auch hin und wieder vor, dass Bücher an die Bibliothek gespendet werden. Zum Beispiel von „einzelnen Schüler*innen, die ein Werk lesen mussten und jetzt schon wissen, dass sie es nie wieder lesen werden.“ Frustrieren lässt sich Kutusow von solchen Schüler*innen-Schenkungen der besonderen Art jedoch nicht. „Wenn man über sowas betrübt ist, kommt man in unserem Beruf nicht weiter. Ich sehe das recht pragmatisch. Die Leseinteressen gehen nun mal auseinander und wenn sie ein Buch wirklich nicht mehr haben wollen, ist es besser, es uns zu spenden, als es wegzuwerfen oder irgendwo verstauben zu lassen.“

Bibliotheksmaskottchen Bertha Bieber wacht über die Bücherwunschbox der Schulbibliothek. Während der Vorname an die Namensgeberin der Schule, Bertha von Suttner, erinnert, verbinden die Schüler*innen mit dem Wassertier in erster Linie den Biberbau am Ufer, den man vom Biologie- und Physiksaal aus beobachten kann.

Ausborgen können sich die Schüler*innen die Bücher für die Dauer von drei Wochen, Verlängerungen sind möglich. „Spätestens vor den Sommerferien sollten die Bücher aber wieder zurück in der Bibliothek sein“, spricht Kutusow mit mahnender Stimme. Falls das nicht funktioniere, werden die Klassenbetreuer*innen und in letzter Konsequenz auch die Eltern kontaktiert. Schwieriger gestaltet sich das Prozedere allerdings, wenn es sich bei den Buchsünder*innen um Lehrkräfte handelt, gibt Kutusow zu bedenken und lacht. Geht ein Werk tatsächlich mal verloren, wird es nachgekauft, Kostenbeteiligung der Verursacher*innen inklusive.

„Ein Buch muss mich catchen“

Sie selbst liest bevorzugt anspruchsvolle Literatur, zuletzt zum Beispiel Liebes Arschloch von Virginie Despentes. „Ich habe leider nicht viel Zeit und als Lehrerin bin ich ja quasi eh ständig am Lesen. Ein Buch muss mich catchen und es darf nicht zu lang sein“, gibt Kutusow die Marschrichtung vor. Als Science-Fiction-Fan hat sie zuletzt Metro 2033 von Dmitry Glukhocsky gelesen, „das war toll, aber ich habe einfach nur sehr selten die Zeit für ein solches Buch mit fast 800 Seiten“. 

Der einzigartige Standort am Wasser, die großzügigen Bibliotheksräumlichkeiten, die tolle Lage am Bug des Schiffes („bei Elternsprechtagen kann man von hier aus den schönen Sonnenuntergang sehen“) und die Arbeit mit Büchern – für Natascha Kutusow passt hier schon sehr vieles sehr gut zusammen. „In anderen Schulgebäuden wird die Bibliothek ja mitunter wie ein Stiefkind behandelt und Kolleg*innen von anderen Standorten sind immer ganz begeistert, wenn sie mal hier bei uns zu Besuch sind“, erzählt Kutusow. Lediglich das Donauinselfest im Juni macht es Schüler*innen und Lehrer*innen an diesem spannenden Standort nicht ganz einfach, denn es kam schon vor, dass ausgerechnet während der Matura der Soundcheck für eines der größten Open-Air-Festivals in Europa durchgeführt wurde. Und dann verwandelt sich natürlich auch der stille Rückzugsort am Bug des Schulschiffes ganz unfreiwillig in einen Konzertsaal.

get in contact: Bibliothek des GRG 21 Bertha von Suttner – Donauinselplatz, 1210 Wien – www.schulschiff.eu –  Die Schulbibliothek auf Instagram