Buchhandlung List: „Wenn ich etwas mache, dann zu 110 Prozent“

Es gab da mal in einer Schule im Bezirk Feldbach eine Bibliothek. In dieser befand sich ein Glaskasten mit einem sehr wertvollen Gut. Und weil ebenjenes Gut so kostbar war, war der Kasten mit einem Schloss versperrt. Nur jene Schüler*innen, die von der Bibliotheksleitung als würdig genug auserkoren worden waren, erhielten den Schlüssel zu diesem Kasten. „An dem Tag, an dem ich damals diesen Schlüssel bekommen habe, hat meine Leseliebe begonnen“, erzählt Nicole List im Gespräch mit Books in Vienna. Im Hintergrund wird währenddessen gehämmert und gebohrt. Noch kurz zuvor hat Nicole mit der Malerrolle die Wand neben dem Eingang bepinselt und gefragt, ob sie während des Interviews weiterarbeiten könne, da vor der Eröffnung noch so viel zu tun sei. Nach dem Gespräch dämmerte es dem Fragensteller, dass die Frage wohl wirklich ernst gemeint gewesen war.

Aber zurück zum wertvollen Gut in besagtem Glaskasten. Es bestand aus Büchern, konkret aus Lyrikwerken von Autoren wie Rainer Maria Rilke oder Joachim Ringelnatz, deren Gedichte Nicole sehr schnell zu schätzen lernte. Gefördert wurde ihre Liebe zu Büchern auch durch ihren Lehrer in der Hauptschule, „der extrem viel Wert auf Lesen gelegt hat und bei dem wir in regelmäßigen Abständen eine Buchvorstellung machen mussten. Meine Mitschüler*innen fanden das ziemlich blöd, ich aber war immer die Erste, die sich freiwillig dafür gemeldet hat“, blickt Nicole zurück. Auch später, in Richtung Matura, trugen engagierte Lehrer*innen dazu bei, ihre Leselust zu fördern, einer von ihnen war selbst Schriftsteller und brachte dank seiner Kontakte eines Tages Elfriede Jelinek mit in den Unterricht.

Jene buchlose Phase, die bei vielen Jugendlichen ganz unweigerlich folgt, wenn Partys und Fortgehen interessanter werden als alles andere, gab es zwar auch bei Nicole. Diese fand jedoch im Alter von 19 Jahren ein schnelles Ende. „Damals hat mich meine erste große Liebe verlassen und meine Mutter konnte es nicht länger ertragen, dass ich im Hochsommer in meinem dunklen Zimmer gesessen bin, Nirvana in Dauerschleife gehört und geweint habe. Also ist sie mit mir in die Buchhandlung gefahren und hat gesagt, ich soll mir irgendwas aussuchen. Ich hab’ dann innerhalb von einer Woche alle Harry-Potter-Bände gelesen. Seitdem haben mich die Bücher nicht mehr losgelassen.“

Austausch über Bücher

Es folgten ein Germanistikstudium und der Beginn der Karriere als Buchhändlerin in der Buchhandlung Haas in Weiz. „Ich wollte unbedingt etwas machen, bei dem man sich mit anderen Menschen über Bücher austauschen kann.“ Dort lernte sie das Buchgeschäft der alten Schule von Grund auf kennen, ohne Warensystem, Buchbestellungen wurden noch gefaxt. „Man musste nicht im Computer nachschauen, ob ein Buch da war oder nicht. Man hatte alles im Kopf“, blickt Nicole in die Vergangenheit zurück, während ihre Kolleginnen in der Gegenwart mit einem ziemlich massiv wirkenden Bohrer einer Wand zu Leibe rücken.

Über bei einem Buchseminar in Strobl geschlossene Kontakte erfuhr sie von einer freien Stelle in der Comic-Buchhandlung Pictopia und übersiedelte nach Wien. Ein Jahr später suchten Petra und Oliver Hartlieb für ihre Filiale in der Porzellangasse eine Buchhändlerin, die sich der deutschsprachigen Abteilung annehmen sollte. „Petra hat mir am Telefon vom Standort erzählt und gemeint, dass ich in der Abteilung tun kann, was immer ich will. Umräumen, einkaufen, Veranstaltungen organisieren, einfach alles. Ich dachte nur, scheiße hey, das ist genau das, was ich immer machen wollte.“

Großes Vertrauen von allen Seiten

Es folgte ein persönliches Gespräch, ein kurzes Probearbeiten sowie das Kennenlernen der neuen Kolleginnen. Und schnell war klar, dass das passen könnte. „Es war von allen Seiten ein großes Vertrauen da, ich konnte vom ersten Tag an selbst entscheiden und wurde von den Kolleginnen gestärkt und unterstützt. Die ersten zwei Wochen war ich superfertig, vor Freude und Überforderung zugleich. Alle haben gesagt, ich soll es ein bisschen langsamer angehen, aber ich kann halt nicht langsam. Wenn ich etwas mache, dann mache ich es zu 110 Prozent.“

Ein Lebensmotto, das auch viereinhalb Jahre später galt, als die Idee geboren worden war, die Buchhandlung in Eigenregie zu übernehmen. Ausschlaggebend für das Gelingen war neben den passenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor allem das gute Miteinander im Team. „Für keinen von uns ist das hier einfach nur ein Job. Wir verstehen uns total gut und jede ist für die andere da. Ohne die Kolleginnen wäre all das hier nicht möglich gewesen, wir sind das beste Team der Welt“, erzählt Nicole, die 2021 schon die Filialleitung übernommen hatte. Dass dabei der Spaß nicht zu kurz kommt, merkt man auch während des Interviews, wenn im Hintergrund beim Bohren und Räumen permanent gescherzt und gelacht wird. „Dass wir hier alle sehr gut miteinander auskommen und man sich aufeinander verlassen kann, merken wir gerade auch beim Umbau. Alle sind einfach so engagiert, das pusht einen dann nochmal selbst zusätzlich.“

Frischen Wind reinbringen

Seit dem 1. Mai firmiert die Buchhandlung nun unter dem Namen Buchhandlung List, die offizielle Eröffnung findet am 13. Mai 2023 in Form eines Open House statt (Beginn 16 Uhr). Bis auch die Außenfassade an die neuen Gegebenheiten angepasst wird, wird es zwar noch ein bisschen dauern, das hält Nicole und ihr Team jedoch nicht davon ab, schon ordentlich loszulegen. „Wir machen nicht alles anders“, beruhigt Nicole im Gespräch alle Stammkund*innen, „aber wir wollen schon einen frischen Wind reinbringen.“ Der Schwerpunkt auf italienische und französische Literatur bleibt selbstverständlich erhalten, hinzu kommt ein neuer englischer Schwerpunkt („wir nehmen generell ein gesteigertes Interesse an Literatur in Originalsprache wahr“). Die Öffnungszeiten werden abends um eine halbe Stunde nach hinten ausgedehnt, bis 18:30 Uhr kann man ab sofort Montag bis Freitag in der Porzellangasse Bücher shoppen, die bisherige Schließzeit im Sommer sowie nach Weihnachten entfällt. Das Team bleibt natürlich in seiner bisherigen Zusammensetzung beisammen, inklusive Buchhandlungshund Dr. Watson, der sich auch zukünftig ganz selbstlos für ausgiebige Streicheleinheiten zur Verfügung stellt.

Und auch regelmäßige Veranstaltungen bleiben Teil des Konzepts, am 23. Mai 2023 liest Stefan Slupetzky ab 19:30 Uhr aus Lemmings Blues, Alina Lindermuth liest am 1. Juni 2023 aus Fremde Federn. Schon am nächsten Montag macht eine Lesung mit Giuliano da Empoli dem Namenszusatz der Buchhandlung List („Internationale Literatur“) alle Ehre. Denn der italienische Autor stellt seinen Roman Der Magier im Kreml im Rahmen einer dreisprachigen Veranstaltung vor, neben Italienisch auch auf Französisch und Deutsch. Ein Konzept, das künftig auch für die gesamte Buchhandlung gilt. „Uns als Team und als Buchhandlung macht die Mehrsprachigkeit aus, deshalb wollen wir zeigen, wie toll Mehrsprachigkeit sein kann.“ Sprach’s, schnappte sich die Malerrolle und machte sich wieder an die Arbeit. In diesem Sinne: Tous mes voeux, ti auguro il meglio!

get in contact: Buchhandlung List – Porzellangasse 36, 1090 Wien – www.buchhandlunglist.at – Die Buchhandlung List auf Facebook und Instagram

Fotos Buchhandlung: ©Buchhandlung List