Alex Beer: „Es mordet sich überall gleich“

Langjährige Krimifans werden sich vielleicht noch an die schwarz-weiß gestreiften Taschenbücher mit dem roten Aufdruck erinnern. Bis zum Jahr 2004 erschienen insgesamt 1983 Bände der legendären Krimireihe des Scherz-Verlags (Zusatztitel „Spannung mit Niveau“), in der unter anderem deutschsprachige Erstveröffentlichungen von Agatha-Christie-Romanen sowie ab den 1960ern sämtliche James-Bond-Romane von Ian Flemming publiziert wurden.

Stetiger Nachschub garantiert

Doch der Scherz-Krimireihe haben Krimi-Fans nicht nur legendäre Kriminalromane in deutscher Sprache zu verdanken, sondern indirekt auch gegenwärtige Spannungsliteratur. „Wenn uns meine in Wien lebende Tante früher in Vorarlberg besucht hat, hat sie sich für die Zugfahrt in der Bahnhofsbuchhandlung immer einen Agatha-Christie-Band aus der Scherz-Reihe gekauft“, erzählt Autorin Alex Beer im Gespräch mit Books in Vienna. „Nach der achtstündigen Zugfahrt hat sie die Bücher dann bei uns liegen gelassen und ich habe sie mir unter den Nagel gerissen. So bin ich schon früh mit Kriminalromanen in Kontakt gekommen. Und ich hab die alle noch, das sind sicher zwei oder drei Laufmeter.“ Neben Agatha-Christie-Büchern hatten es der jungen Alex Beer vor allem die Fünf Freunde von Enid Blyton angetan, dank der von der Mutter für sie und ihre Schwester organisierten Bibliothekskarte war stetiger Nachschub garantiert.

Twists und Turns

Das Interesse für Spannungsliteratur war bei der späteren Kriminalroman-Autorin also schon früh geweckt, später kam dann eine ausgeprägte Vorliebe für skandinavische Krimis und Thriller wie Henning Mankells Wallander hinzu. An Agatha Christie weiß sie bis heute zu schätzen, dass sie „im Gegensatz zu vielen anderen Autoren nicht einfach immer wieder dasselbe Buch neu schreibt. Bei ihr gibt es ständig neue Konstellationen, neue Twists und Turns“, erzählt Alex Beer. „Ich war und bin wirklich eine totale Krimileserin, habe aber damals auch immer wieder mal ein Buch erwischt, bei dem ich mich gelangweilt habe. Einfach nur zu nörgeln ist aber nicht meins, sondern ich wollte wissen, ob ich das besser könnte. Also habe ich mich hingesetzt und das ausprobiert.“

Jeder Krimi ist ein Regionalkrimi

Das Ergebnis war die vierteilige Regionalkrimireihe rund um den in Wien und Tirol ermittelnden Chefinspektor Otto Morell, deren erster Band 2008 bei S.Fischer erschien. Auch wenn sie den Regionalkrimis später zugunsten der historischen August-Emmerich-Reihe Adieu gesagt hat, steht sie diesem Genre nach wie vor grundsätzlich positiv gegenüber. „Jeder Krimi ist ja irgendwie ein Regionalkrimi, egal ob Donna Leon oder ein Hardboiled-Krimi, der in New York spielt.“ Das mitunter etwas angekratzte Image der Regionalkrimis erklärt sie sich mit jener Schwemme, die vor einigen Jahren von den Verlagen losgetreten wurde. „Da hat dann plötzlich jeder Ort seinen eigenen Regiokrimi bekommen und man hatte das Gefühl, dass es den Verlagen unabhängig von der literarischen Qualität in erster Linie darum ging, eine bestimmte Region abzudecken. In der Hoffnung, dass man mit den Leuten, die dort leben und dort Urlaub machen, schon mal ein fixes Zielpublikum von ein paar Tausend Leuten hat.“ Das habe in der Folge dazu geführt, dass die Qualität bei manchen Büchern gesunken sei, weil es niemanden gab, der einen richtig guten Krimi über eine bestimmte Region schreiben wollte oder konnte. „Will ein Verlag einen in New York spielenden Hardboiled-Krimi veröffentlichen, kann er sich aus den allerbesten Autoren jemanden aussuchen. Wenn ich als Verlag aber unbedingt zum Beispiel einen Altach-Krimi veröffentlichen will, sieht das schon anders aus.“ Dabei gebe es wahnsinnig gute Regionalkrimis, denen die gängigen Vorurteile total ungerecht werden, betont die Autorin.

In die große weite Welt

In das lokale Setting, in dem auch viele Regionalkrimis spielen, kann sich die 47-Jährige gut hineinversetzen, stammt sie doch selbst aus einer 20.000-Einwohner-Gemeinde in Vorarlberg. Das komme ihr beim Schreiben auch heute noch zugute. „Es hilft, wenn man aus einer kleinen Stadt in die große weite Welt zieht, weil man so ein bisschen Gesellschaft umlernen muss. Man schaut sich die Menschen und das Gefüge in der neuen Umgebung anders an, als wenn man dort aufgewachsen ist. Diese Fähigkeit hilft beim Schreiben, finde ich.“ Generell sei es von Vorteil, im eigenen Leben so viel wie möglich kennenzulernen und Erfahrungen zu sammeln, betont Beer, die auch einige Jahre in New York und Berlin gelebt und gearbeitet hat. „Je mehr ich aus eigener Erfahrung kenne, desto mehr kann ich auch erzählen“, präzisiert sie.

Niemandem reinpfuschen

Ideen für ihre Bücher und Reihen spricht Alex Beer vorab mit ihrem Agenten ab, zudem recherchiert sie sehr genau, ob Handlungsort und Zeit nicht schon von einem schreibenden Kollegen besetzt sind. „Die Emmerich-Reihe habe ich bewusst in der Zwischenkriegszeit angesiedelt, weil ich dem Andreas Pittler und dem Gerry Loibelsberger mit ihren historischen Krimis nicht in die Quere kommen wollte.“ Das gilt genauso für ihre beiden anderen, in Deutschland spielenden, historischen Reihen rund um Felix Blom und Isaak Rubinstein. „Ich will niemandem reinpfuschen, denn das finde ich nicht okay. Wenn jemand vor mir dort war, dann ist das sein Gebiet. Ich bin kein Hund, der das dann auch markieren muss.“

Introvertierte Menschenhasserin mit Vorliebe für Büchermenschen

Die Recherche für ihre in der Vergangenheit angesiedelten Romane nimmt die mehrfach mit dem Leo-Perutz-Preis sowie 2019 mit dem Österreichischen Krimipreis ausgezeichnete Autorin sehr genau. „Ich liebe es, in der Nationalbibliothek zu sitzen und zu recherchieren. Man muss das wohl auch gern machen, sonst sollte man sich ein anderes Genre suchen.“ Tritt trotzdem mal Schreibfrust auf, wird dieser in der Regel mit Schokolade oder einem guten Glas Wein bekämpft. Dass die Recherche in Archiven und Bibliotheken wie auch das Schreiben von Büchern insgesamt eher einsame Tätigkeiten sind, macht der Autorin dabei nichts aus. „Ich finde das super, weil ich ja eher der introvertierte Menschenhasser bin“, gibt sie zu Protokoll und lacht. Wie sich das dann mit Lesungen vereinbaren lässt, bei denen im Idealfall ja auch viele Menschen dabei sind? „Zu den Veranstaltungen auf meinen Lesereisen kommen Büchermenschen, und das sind einfach sehr angenehme Menschen.“

Recherchieren, lesen, fotografieren

Ihre Lesereisen tritt sie bevorzugt mit der Bahn an („Fliegen ist heutzutage eine so würdelose Massenabfertigung“), die Zeit im Zug nutzt Alex Beer zum Recherchieren oder Lesen. Oder zum Fotografieren. „Ich freue mich, wenn ich Leute im Zug mit einem meiner Bücher sehe und mache hin und wieder auch mal ein Foto davon“, gibt sie im Gespräch zu, betont jedoch im selben Atemzug, dass sie die Gesichter der Menschen nicht fotografiere und die daraus resultierenden Fotos auch nicht auf Instagram & Co poste. „Nicht dass sich die Leute jetzt nicht mehr trauen, in der Öffentlichkeit ein Buch von mir zu lesen, weil sie Angst haben, dass sie dann von Alex Beer fotografiert werden.“

Geschrieben wird meistens daheim und das in Hülle und Fülle, laufen doch derzeit quasi drei historische Krimi-Reihen der Autorin gleichzeitig. „Ich schließe meistens ein Projekt ab, bevor ich das nächste beginne. Dadurch besteht keine Gefahr, dass ich durcheinanderkomme.“ Außerdem sei sie ganz gut organisiert, „ich habe meine handschriftlichen Tabellen, Listen und Post-Its. Wenn es doch mal zu viel wird, lege ich auch mal eine ganz einfache Excel-Liste an.“

Mehr Leichtigkeit

So unterschiedlich Wien und Berlin als Städte daherkommen, so ähnlich wird in beiden Metropolen laut Alex Beer getötet. „Es mordet sich überall gleich, es gibt ja nicht so viele verschiedene Möglichkeiten, jemanden umzubringen. Auch die Motive für einen Mord sind in beiden Städten dieselben.“ An den unterschiedlichen Verbrechensvariationen lag es also nicht, dass die Autorin 2022 neben der in Wien spielenden Emmerich-Reihe und der in Nürnberg angesiedelten Rubinstein-Reihen (ab 2019) vor zwei Jahren den Ermittler Felix Blom im Berlin der Gründerzeit erschaffen hat. „Ich brauchte einfach ein bisschen Abwechslung. Man ißt ja auch nicht jeden Tag sein Lieblingsessen. August Emmerich (der sechste Band Die weiße Stunde erscheint am 25. September 2024) ist so ein melancholischer Charakter im depressiven Wien nach dem Ersten Weltkrieg. Ich wollte ein bisschen mehr Leichtigkeit beim Schreiben, da kam mir das Schlitzohr Blom in dieser von Aufbruchsstimmung gekennzeichneten Berliner Gründerzeit gerade recht.“

Vier Bände mit Chefinspektor Morell, fünf Bände der Emmerich-Reihe und jeweils zwei Bände der Felix-Blom- bzw. der Isaak-Rubinstein-Reihe: An die Ausmaße der eingangs erwähnten legendären Krimireihe aus dem Scherz-Verlag kommt Alex Beer in punkto Quantität noch nicht heran. Die ein oder andere Zugfahrt zwischen Wien und Vorarlberg lässt sich mit ihren Büchern aber mittlerweile ganz gewiss gut verbringen.

Leseempfehlungen von Alex Beer:
Der siebte Tod von Paul Cleave
Die Pietro-Reihe von Josh Bazell
Die Slow Horses-Reihe von Mick Herron
Kind 44 von Tom Rob Smith

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Foto: Pamela Rußmann