Wer winken kann, ist noch nicht verloren

„Vieles hätte einfacher, schneller, besser sein können.“ So lautet auf der Website der Edition Atelier ein Teil des Fazits des Jahres 2023. Auf die aufg’legte Frage, was denn im Vorjahr hätte besser laufen können, verweist Geschäftsführerin Sarah Legler im traditionellen Jahresanfangsinterview mit Books in Vienna auf die grundsätzlich nicht ganz einfachen Rahmenbedingungen für unabhängige Verlage in der Buchbranche. „Wir müssen uns angesichts der Vielzahl an Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt behaupten und für jedes unserer Bücher sehr genau überlegen, wie man es in Presse, Veranstaltungshäusern und Buchhandlungen platzieren könnte“, erzählt Sarah. „Das macht die Arbeit manchmal schwierig und kompliziert, vielleicht auch ein bisschen frustrierend“, erzählt Sarah. Dazu die unzähligen Stunden am Abend und am Wochenende, die man mit dem Lesen von Manuskripten verbringt, wobei aus Kapazitätsgründen ohnehin nur noch jene Manuskripte gelesen werden können, die von Stammautor*innen geschrieben worden sind. Für unverlangt eingeschickte Manuskripte bleibt den beiden keine Zeit mehr, weswegen sich seit vergangenem Jahr auch der (offenbar oftmals überlesene) Hinweis auf der Website findet, dass keine neuen Autor*innen aufgenommen werden können.

Die Entscheidung, welcher Text ins Programm aufgenommen wird, treffen Sarah und Jorghi stets gemeinsam. „Wir kalkulieren jedes Buch. Aber wir machen natürlich auch Bücher, die wir großartig und wichtig finden, obwohl wir vielleicht schon ahnen, dass die sich vielleicht nicht supergut verkaufen werden. Wobei man sagen muss, dass wir da auch immer wieder positiv überrascht werden“, betont Sarah. Und Jorghi ergänzt: „Die öffentliche Resonanz kann man ja sowieso nicht planen.“

Geschätzte Exilliteratur

Was es für die Edition Atelier in vielerlei Hinsicht einfacher macht, ist dass der Verlag mittlerweile vielen Leuten schon ein Begriff ist. Sarah und Jorghi führen das darauf zurück, dass sie den Verlag nun schon seit dreizehn Jahren führen und immer wieder einzelne Bücher sehr erfolgreich sind. Und das auch auf dem deutschen Buchmarkt. „Vor allem die Wiederauflagen funktionieren im urbanen Bereich in Deutschland sehr gut und wir hören über unsere Vertreter immer wieder, dass wir besonders dafür geschätzt werden, was wir im Bereich der Exilliteratur des 20. Jahrhunderts machen“, erzählt Sarah. Auch die Leipziger Buchmesse sei im Vorjahr gut gelaufen, „auch wenn – oder vielleicht gerade weil – wir nicht in der Österreich-Halle beim Gastland-Stand, sondern in Halle 5 waren“, blickt Jorghi zurück. Hinzu kommt, dass die beiden seit einem Jahr von Bernadette Lietzow im Presse- und Veranstaltungsbereich unterstützt werden.

Anerkennung für Autor*innen

Und schließlich helfe es auch, dass langjährige Autorinnen wie Eva Schörkhuber oder Elena Messner (Shortlist Wortmeldungen-Literaturpreis 2024), in der Zwischenzeit bekannter geworden sind und mehr Aufmerksamkeit in Form von Preisen, Nominierungen oder Stipendien erhalten. „Große Verlage mit viel Marketingbudget schaffen das vielleicht auch schon beim Debütroman einer Autorin oder eines Autors, bei uns dauert das halt ein paar Jahre. Dass es aber passiert, freut uns wirklich sehr“, bekundet Jorghi. Und dass es auch bei der Edition Atelier schneller passieren kann, stellt Ursula Knoll unter Beweis, die jüngst den Theodor-Körner-Preis für Literatur und im Vorjahr das Jahresstipendium der Literar Mechana erhalten hat.

Wichtig ist den beiden auch nach wie vor eine möglichst hochwertige bibliophile Ausstattung ihrer Bücher. „Anfang der 2010er hat es mal so eine Phase gegeben, in der sich die Buchausstattungen generell verbessert haben, das ist in der Zwischenzeit wieder ein bisschen abgeebbt“, erklärt Jorghi. „Dank der Digitalproduktion gibt es da aber mittlerweile mehr Möglichkeiten, wobei wir in dieser Hinsicht sicher nicht jedem Trend hinterherlaufen werden“, sagt Jorghi und nennt beispielhaft den nicht enden wollenden Hype um farbige Buchschnitte.

Zeitgenössische Diskurse aufnehmen

Mit ihrem Frühjahrsprogramm, dass dieser Tage in die Buchhandlungen kommt, wollen sie zeitgenössische Diskurse aufnehmen. „Wir bewegen uns als Verlag in einem vielschichtigen und urbanen Feld, das eine Menge Probleme vor sich herträgt beziehungsweise zu ignorieren versucht“, erklärt Jorghi. „Egal ob es um rechte Rhetorik geht, Femizide, Gleichstellung, Ökologie oder auch strukturelle Probleme in der Buchbranche: Viele dieser für uns alle wichtigen Themen werden nicht nur von der Politik, sondern auch von Verlagen kaum bis gar nicht verhandelt. Aber“, betont Jorghi „das wäre auch unsere Aufgabe, sich zu überlegen, wie können wir diese Themen zu den Menschen bringen, am besten natürlich ohne den großen moralischen Zeigefinger.“

Eine Möglichkeit, sich mit aktuellen gesellschaftlichen Diskursen zu beschäftigen, bietet zum Beispiel der Roman Schattenkühle von Barbara Kadletz, in dem sich historischer Umweltaktivismus mit den Anliegen der Letzten Generation trifft – laut Sarah ein „großer und kluger Lesespaß mit fetzigen Dialogen“. Walter Schübler wirft für Vom Essen zwischen den Kriegen einen Blick in die Kochtöpfe der Zwischenkriegszeit, in denen sich bereits Vorläufer von auch heute noch aktuellen Trends wie Vegetarismus, Super- oder Conveniencefood befanden.

Tolle Frau vor den Vorhang holen

Nach dem Vorjahreserfolg mit Cenzi Flendrovsky erscheint mit Joy Adamson von Ulrike Schmitzer erneut eine Graphic Novel mit Illustrationen von Jorghi Poll, die sich dieses Mal dem außergewöhnlichen Leben von Friederike Gessner alias Joy Adamson widmet. Sie emigrierte mit ihrem jüdischen Mann 1937 von Wien nach Afrika. Dort verliebte sie sich nicht nur in Flora und Fauna, sondern nahm gemeinsam mit ihrem neuen Mann George Adamson ein verwaistes Löwenbaby bei sich auf, um es möglichst naturnah großzuziehen und wieder auszuwildern. „Das war in den 1950ern, lange vor Jane Goodall und Dian Fossey, wirklich revolutionär. Mit Born Free hat sie damals einen Weltbestseller geschrieben, der von der BBC verfilmt wurde und sie hat einen Tierschutz-Trust auf die Beine gestellt, den es auch heute noch gibt“, erzählt Jorghi. „Leider ist sie danach ein bisschen in Vergessenheit geraten, wie es so vielen Autorinnen ergangen ist, insbesondere jenen, die ins Exil gedrängt wurden. Deshalb wollen wir diese tolle Frau wieder vor den Vorhang holen.“

Typisch Divjak’sche Zusammenstellung

Abgerundet wird das Frühjahrsprogramm vom Jubiläumsband anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Österreichischen Gesellschaft für Literatur (In guter literarischer Gesellschaft) sowie der Neuauflage des von Adolf Opel herausgegebenen Das Buch ohne Titel von Lina Loos. Und schließlich gibt es da noch Winken, ein Essay von Paul Divjak. Dabei handelt es sich laut Sarah um „eine typisch Divjak’sche Zusammenstellung von Reflexionen und Zitaten. Eine Einladung an Leserinnen und Leser, sich durch den Text treiben zu lassen, innezuhalten und Assoziationsketten zu bilden, die man weiterspinnen kann.“ Und, nicht unwichtig, die „Hommage an eine bewegende Geste“ entlässt den Leser und die Leserin am Ende mit einem positiven Gefühl zurück in die Realität, denn dort heißt es: „Wer winken kann, ist noch nicht verloren“.

Und so verabschiedet sich der Blogger mit einem Winken von der Edition Atelier, verbunden mit dem Gefühl, dass das Jahr 2023 vielleicht gar nicht so viel besser hätte laufen können für den Verlag.

Die Edition Atelier ist inkl. mehrerer Veranstaltungen zwischen 21. und 24. März auf der Leipziger Buchmesse vertreten (Halle 5, Stand C113).

Leser*innen von Books in Vienna können ein Buchpackage mit den Frühjahrsbüchern der Edition Atelier gewinnen. Einfach bis 10. März 2024 (23:59 Uhr) ein Mail mit dem Betreff „Ich will gewinnen“ an lukas@lukaspellmann.at schicken. Keine Barablöse möglich, die/der Gewinner*in wird schriftlich verständigt.

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