Landpartie 2023-V: Eine Buchhandlung wie ein wirklich guter Popsong

Einen Blogbeitrag in der üblichen Länge über die Klagenfurter Buchhandlung Heyn und ihren umtriebigen Geschäftsführer zu schreiben, ist gar nicht so einfach. Denn während des Interviews mit Helmut Zechner poppen unentwegt spannende Inhalte auf, denen man auch gut und gerne jeweils einen eigenen Beitrag widmen könnte. Da wäre zum Beispiel der Buchautomat vor dem Geschäft in der Kramergasse. Oder die legendären literarischen Kochevents, bei denen der Meister gemeinsam mit seiner Frau und seiner Assistentin höchstpersönlich den Kochlöffel schwingt. Oder die Stammkund*innenrunde, die regelmäßig Buchempfehlungen abgibt. Oder Helmut Zechners wilde Jahre in der Wiener Alternativeszene.

Wo also anfangen? Probieren wir es mit einem Blick zurück in die Geschichte der Buchhandlung. Und während Helmut Zechner zu erzählen beginnt, hält der Interviewer im Augenwinkel stets nach den beiden Buchhandlungskatzen Nilo und Nala Ausschau. 155 Jahre und rund eineinhalb Monate ist es her, dass in Klagenfurt ein gewisser Rudolf Bertschinger die Eröffnung seiner Buch-, Kunst-, Musikalien-, Antiquar- und Schreibmaterialienhandlung kundtat. So umtriebig Bertschinger auch war, so wenig versiert schien er im Umgang mit finanziellen Angelegenheiten, was dazu führte, dass er sich drei Jahre später mit Johannes Heyn einen Buchhalter ins Unternehmen holte, der sich fortan nicht nur um die Buchführung kümmerte, sondern auch als gleichberechtigter Teilhaber in Erscheinung trat. Nach Ablauf des siebenjährigen Gesellschaftervertrags übernahm Johannes Heyn im Jahr 1878 die Buchhandlung als Alleineigentümer.

„Bis auf die ersten drei Jahre ist die Buchhandlung also immer im Besitz der Familie gewesen“, sagt Helmut Zechner nicht ohne Stolz im Gespräch mit Books in Vienna. Kurz nach der alleinigen Geschäftsübernahme durch seinen Ururgroßvater übersiedelt die Buchhandlung über die Straße in den neu errichteten Rainerhof. „Seiner Bequemlichkeit haben wir es zu verdanken, dass wir heute unsere gute Lage haben“, sagt Zechner. „Damals war die Kramergasse nämlich eine ganz normale Straße, während die Gebäudeseite zum Neuen Platz die viel bessere Seite war, an der die Leute entlang flaniert sind. Das Geschäftslokal, das ihm dort angeboten wurde, hatte jedoch keinen direkten Zugang zu seiner im Stockwerk darüber gelegenen Wohnung.“ Also entschied sich Zechners Ururgroßvater für das Lokal in der Kramergasse, Wendeltreppe in die privaten Gemächer inklusive. „Dank der Umwandlung der Kramergasse in eine Fußgängerzone im Jahr 1957 hat sich seine Entscheidung als Glücksgriff erwiesen“, freut sich Zechner über die seither besonders attraktive Geschäftslage.

Seit damals befindet sich die Buchhandlung Heyn also im Familienbesitz, was insbesondere auch Helene Zechner, der Tochter Johannes Heyns zu verdanken ist, die das Geschäft zwischen 1918 und 1952 durch stürmische politische Zeiten hindurch führte. Rund fünfzig Jahre nach ihrem Abschied übernahm Helmut Zechner die Geschäftsführung und mit ihm erlebte das Unternehmen eine Premiere, denn „seit der Gründung der Buchhandlung bin ich der erste, der das Geschäft freiwillig übernimmt. Meine Urgroßmutter hatte damals eigentlich ganz andere Pläne gehabt, musste die Buchhandlung aber so viele Jahre leiten, weil ihr Bruder im Ersten Weltkrieg und ihr Sohn im Zweiten Weltkrieg gefallen sind. Beide waren eigentlich für die Führung der Buchhandlung vorgesehen gewesen“, erzählt Zechner. Auch sein Vater wollte eigentlich lieber in die Landwirtschaft gehen, hat aber auf Zuruf der Eltern dann doch die Buchhandlung übernommen. „Ich dagegen habe sogar freiwillig Buchhandel gelernt“, betont Zechner (Anm.: in der ehemaligen technischen Fachbuchhandlung Fritz in der Wiedner Hauptstraße), auch wenn ich zwischendurch mein Unwesen als Schlagzeuger in der Alternativeszene getrieben habe.“

Die eingangs erwähnte Wendeltreppe in die frühere Privatwohnung sucht man heutzutage leider vergebens, sie wurde „mitgenommen“, als die Wohnung im ersten Stock bei einem Umbau in den 1960ern in das Geschäftslokal integriert wurde. Das ist zwar schade, aber immerhin hatte der Umbau den netten Effekt, dass die Buchhandlung nun über großzügige Räumlichkeiten verfügt, die auch ausgiebig von den beiden Buchhandlungskatzen Nilo und Nala genutzt werden. Die haben sich bis zu diesem Zeitpunkt des Interviews allerdings immer noch nicht blicken lassen. Also weiter im Text.

Die Räumlichkeiten in der oberen Etage werden nicht nur ausgiebig zur Präsentation von Büchern genutzt, sondern „in rauen Mengen“ auch für Veranstaltungen und Lesungen, „obwohl Klagenfurt veranstaltungstechnisch ein schwieriges Pflaster ist“, gibt Zechner zu Bedenken. Deshalb lädt er in der Regel nur sehr bekannte Autor*innen oder lokale Größen (zu zweiteren zählen zum Beispiel Andrea Nagele und Jana Revedin) ein, „bei denen ich annehmen kann, dass wir voll sind. Ich bin mir bewusst, dass ich dadurch ein paar sehr gute Literaten und Poeten nicht bei uns haben kann, aber da wir null Euro Förderung bekommen, sind wir bei Veranstaltungen leider auf ein volles Haus angewiesen. Wir hatten mit Carl Djerassi mal den Erfinder der Anti-Baby-Pille zu einer Veranstaltung hier, er war schließlich auch ein großartiger Romancier. Wenn der in London einen Pieps gemacht hat, waren sofort 4.000 Leute dort. Bei uns waren, trotz großen Ankündigungen in den Medien, nur fünfundzwanzig Personen da.“ Auch bei Ruth Klüger, der „Grande Dame der Literaturkritik“, waren nur fünfundzwanzig Leute, verweist Zechner auf ein anderes Beispiel. Wobei so manch’ andere Buchhandlung mit 25 zahlenden Gästen (die Buchhandlung Heyn verlangt bei Veranstaltungen grundsätzlich Eintritt, dafür wird den Gästen unter anderem ein „ausgezeichneter“ Wein serviert) wohl nicht unzufrieden wäre.

Voll ist die Buchhandlung, wenn zum Beispiel Michael Ostrowski (Der Onkel) Station beim Heyn macht, Paul Lendvai ein neues Sachbuch vorstellt oder Martin Walker mal wieder für ein literarisches Dinner vorbeischaut. „Klagenfurt braucht halt einfach sehr populäre Autorinnen und Autoren mit Breitenwirkung“, fasst Helmut Zechner die Ausgangsposition zusammen.

Apropros literarisches Dinner: Dieses nahm seinen Anfang, als Zechner bei einer Plachutta-Buchpräsentation in grauer Vorzeit davon ausgegangen war, dass dabei natürlich auch gekocht werde. Als er erfuhr, dass Ewald Plachutta lieber einen Caterer für die Veranstaltung engagieren wollte, griff er kurzerhand selbst zum Kochlöffel. „Wir haben 500 Ravioli per Hand gemacht und nachdem sich sowohl Ewald Plachutta als auch das Publikum im Anschluss sehr lobend geäußert haben, haben wir das einfach weitergeführt.“

Gekocht wird dabei, was mit dem jeweiligen Buch und/oder der/dem Autor*in zu tun hat, sehr super funktionieren in diesem Kontext Events, bei denen ein Reiseführer im Mittelpunkt steht (zum Beispiel die kulinarischen Istrien-Reiseführer von Silvia Trippolt-Maderbacher). Oder eben Martin Walker, der im Rahmen des Krimifests Kärnten am 11. Oktober aus seinem aktuellen Kriminalroman Troubadour lesen und gemeinsam mit dem Publikum in den Genuss der heyn’schen Kochkünste kommen wird. Nilo und Nala, die beiden Katzen, hatten sich an dieser Stelle des Interviews übrigens noch immer nicht blicken lassen. Vielleicht lag es daran, dass dem Autor dieser Zeilen die Frage nach dem Verbleib der Katzen während des literarischen Dinners erst auf der Rückfahrt nach Wien, irgendwo zwischen Friesach und Neumarkt, eingefallen ist

Selbst liest Helmut Zechner natürlich auch, und zwar besonders gerne „gehobene Unterhaltungslektüre“ á la T.C. Boyle, John Irving oder Haruki Murakami („den liebe ich heiß, von dem habe ich so gut wie alles gelesen“). „Um es in die Musiksprache umzulegen: Deren Bücher sind wie gehobene Popsongs. Bei einem wirklich guten Popsong steckt ganz schön viel dahinter, der tut ja nur so, als ob er leicht daherkommt“, sagt Zechner, als sich die Zeit des Interviews langsam dem Ende zuneigt.

Und dann muss er auch schon los zum nächsten Termin, was eh ganz gut so ist, denn sonst wäre dieser Blogbeitrag noch viel länger geworden. Natürlich wurde zwischendurch auch über den Bachmannpreis („schön, alle wichtigen Verleger, Lektoren und Autoren hier zu haben, da spart man sich die Reise zu den Messen in Frankfurt und Leipzig“), die Stammkund*innenleserunde („das unterhaltsamste Veranstaltungskonzept überhaupt, da hat man bei der Buchbesprechung wirklich das Gefühl, dass 25 Leute 16 verschiedene Bücher gelesen haben“) und den Buchautomaten vor dem Geschäftslokal („in jeder Hinsicht ein Goldgriff, allein schon als Marketingmaßnahme hat es sich ausgezahlt“) gesprochen, ohne dass sich Nilo und Nala auch nur für eine Sekunde blicken hätten lassen.

Muss der Interviewer halt nochmal nach Klagenfurt fahren, was ja aber ohnehin ein lohnenswertes Unterfangen wäre.

get in contact: Buchhandlung Heyn – Kramergasse 2-4, 9020 Klagenfurt – www.heyn.at – Buchhandlung Heyn auf Instagram und Facebook

Anreise: Vom Wiener Hauptbahnhof bringen euch die ÖBB in vier Stunden nach Klagenfurt.

Und wenn man schon in Klagenfurt und Umgebung ist …

… kann man zum Beispiel in den Wörthersee hupfen, dem Robert Musil Literaturmuseum einen Besuch abstatten oder im Minimundus das Modell der Universitätsbibliothek von Mexico City bestaunen.